Griff nach dem StrohhalmCorona-Nothilfefonds wird verlängert
Für viele Studierende fällt die Corona-Nothilfe zu gering aus – wenn sie überhaupt welche bekommen.
Ende der Vorwoche servierte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Facebook und Twitter „Glückseligkeit“ satt. In einer Mitteilung las man da: „Die Überbrückungshilfe für Studierende, die infolge #Corona-Pandemie in besonders akuter Not & unmittelbar auf Hilfe angewiesen sind, wird verlängert“, Betroffene (...) können sie auch im September beantragen“.
Darunter prangte das Bild sechs junger Menschen, Arm in Arm und vor Freude um die Wette strahlend. Einer kriegt sich gar nicht mehr ein vor Frohsinn, so als hätte er ein ganzes Honigkuchenpferd verschluckt. Was fehlte war nur noch eine Sprechblase mit dem Spruch: Die Bundesregierung ist doch ein toller Verein.
Aber auch so ging die Sache voll nach hinten los. „Was soll dieses Bild??? KEIN Studierender hat momentan etwas zu lachen“, schrieb ein User, ein anderer: „Ist mir bisher in euren Stellenausschreibungen gar nicht aufgefallen, dass ‚Hang zum Zynismus‘ Einstellungsvoraussetzung ist.“ Eine „groteske Verhöhnung der notleidenden Menschen, die in ihrer Zahl nicht signifikant abgenommen haben“, kommentierte die Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg, und ein gewisser Marco bemerkte: „Ihr helft überhaupt niemandem mit diesem lächerlichen Programm und das wissen doch auch alle, wenn wir mal ehrlich sind.“
Gute Nachricht?
Das hatte gesessen. Offenbar völlig überrascht von dem Shitstorm, schickte die „BMBF Social Media Redaktion“ eiligst ein Statement über die Kanäle. „Liebe Twitter-Community, es war in keiner Weise unsere Absicht, jemanden mit der Bildauswahl zu verhöhnen oder zu beleidigen. Vielmehr wollten wir die gute Nachricht hervorheben – die Überbrückungshilfe wurde verlängert.“ Besser machte das freilich nichts, eher im Gegenteil. Zeigt die Reaktion doch einmal mehr, wie abgehoben und weltfremd die politisch Verantwortlichen in der Angelegenheit agieren und wie weit entrückt sie von den Problemen der Leidtragenden – durch die Corona-Krise und die eigene Politik – eigentlich sind.
Rückblende: Es hatte zunächst eine halbe Ewigkeit gebraucht, bis BMBF-Chefin Anja Karliczek (CDU) überhaupt auf die Idee kam, durch die Pandemie in Not geratene Studierende unterstützen zu müssen. Wochenlang ließ sie die von massenhaftem Jobverlust Betroffenen völlig im Regen stehen. Erst mit drei Monaten Verspätung ließ sie dann besagten Hilfsfonds für Menschen „in nachweislich besonders akuter Notlage“ auflegen. Nach langem Hickhack und immer neuen Verzögerungen konnte man ab Mitte Juni einen Antrag stellen – begrenzt auf die Monate Juni, Juli und August.
Zur Bank geschickt
Deutlich flotter war die Ministerin mit einem „zinslosen“ Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zur Stelle. Die Zinsersparnis ist dabei kümmerlich klein und die Gefahr, damit in die Schuldenfalle zu tappen, ziemlich groß. Ihre Vorliebe für das Instrument lässt Karliczek bei jeder Gelegenheit durchblicken, so auch in einer Presseerklärung vom vergangenen Donnerstag. Darin wird der „langbewährte KfW-Studienkredit“ zum „größten Sicherungsnetz“ erklärt, das „stabile und rasche Unterstützung mit bis zu 650 Euro im Monat“ biete. Bis Mitte August hätten ihn „rund 10.000 deutsche und mehr als 15.000 ausländische Studierende“ beantragt.
Der Verweis auf das „zweite Sicherungsnetz“, also den „Nothilfefonds“, folgt erst danach, verbunden mit der Ankündigung, diesen „in Absprache mit dem Deutschen Studentenwerk und den Studierendenwerken vor Ort“ (...) um „einen weiteren Monat zu verlängern“. Eine Extraportion Emotion hatte Karliczek auch noch parat: „Von Beginn der Pandemie an war mir wichtig, dass die Folgen dieser Ausnahmesituation für unsere Gesellschaft Studierende nicht in die Aufgabe ihres Studiums treiben sollen.“ Und wichtig sei ihr auch, „dass die Studierenden in pandemiebedingten Notlagen sich auf ihre Prüfungen konzentrieren können“.
Aussortiert und abgelehnt
Mit der zur Schau gestellten Empathie und Großzügigkeit ist es freilich nicht weit her. Dass Antragsteller monatlich maximal 500 Euro erhalten können und dies nur bei völliger Mittellosigkeit, nachzuweisen mit einem Kontostand von unter 100 Euro, hatte bereits für viel Empörung gesorgt. Möglicherweise hielt schon das viele davon ab, um die Mittel nachzusuchen. Wie wollte man damit offene Rechnungen von mehreren Monaten, die Miete und das Nötigste zum Leben bezahlen, dazu noch in Städten wie München, Hamburg oder Köln? Der allgemeine Frust wuchs noch, als sich zeigte, dass viele Anträge wegen „Unvollständigkeit“ aussortiert und von den vollständigen längst nicht alle positiv beschieden wurden.
Nach dem Stand vom 21. August sind laut Deutschem Studentenwerk (DSW) bisher rund 190.000 korrekte Anträge bei den lokalen Studentenwerken eingegangen. Davon 82.380 im Juni, 71.555 im Juli und 36.000 im August. 88 Prozent, also 168.000, seien bis dahin bearbeitet gewesen. In 58,8 Prozent der Fälle (knapp 100.000) gab es eine Zusage von Geldern, bei 39 Prozent setzte es eine Absage. Bei 2,2 Prozent sind noch Informationen nachzureichen, wobei bezogen auf alle Anträge bei 44 Prozent mindestens einmal eine Nachforderung erfolgt ist. Im Schnitt wurden die begünstigten mit 429 Euro unterstützt.
Erhellender sind allerdings die Zahlen, die das BMBF herausgerückt und der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda am Freitag auf seinem Internetblog auseinandergenommen hat. Demnach gab es bis vergangenen Freitag über 354.000 Antragsversuche, wovon es aber mehr als 165.000 wegen Fehlerhaftigkeit gar nicht in die Bearbeitung schafften. Bei deren Mitberücksichtigung schrumpft die Quote der Bewilligungen auf 28 Prozent.
Nur „echte“ Krisenopfer zählen
Wiarda machte auf eine weitere Merkwürdigkeit aufmerksam: Der zweithäufigste Grund für eine verweigerte Hilfe war demnach laut BMBF mit 27 Prozent das Vorliegen „unvollständiger oder nicht lesbarer Unterlagen“. Wie kann das sein, wenn doch schon davor alle „unvollständigen“ Anträge aussortiert worden sein sollen? An dritter Stelle der Ablehnungsgründe folgt mit 23 Prozent „die automatische Ablehnung durch Fristablauf bei Nachbesserungen“. In diesen Fällen haben Betroffene geforderte Unterlagen nicht nachgeliefert.
Als Hauptablehnungsgrund nennt das BMBF mit 42 Prozent „das Nichtvorliegen einer pandemiebedingten Notlage“. Das allerdings muss nicht bedeuten, dass es den Betroffenen zu gut geht. Zum Zug kommen jedoch nur „echte“ Krisenopfer, also diejenigen, die erst durch den harten Lockdown vom 23. März in materielle Nöte gestürzt sind, sei es, weil ihr Job wegfiel oder ihre Eltern die Unterstützung kappten. Die Trennung ist mindestens fragwürdig: Denn auch Studierende, die schon davor bedürftig waren, hatten pandemieverschuldet wochen- und monatelang keine Möglichkeit, sich mittels Aufnahme eines Nebenjobs aus ihre Lage zu befreien.
Der Bundesverband ausländischer Studierender (BAS) machte via Twitter auf eine weitere Ungerechtigkeit aufmerksam. Demnach verlangen manche Ausländerbehörden von internationalen Studierenden, mindestens 1.300 Euro auf einem Sperrkonto zu hinterlegen – zur Finanzierung einer möglichen Abschiebung. Obwohl sie über das Geld nicht verfügen dürfen, soll es sehr wohl ein Ausschlusskriterium bei Beantragung der Überbrückungshilfe sein.
Strukturelle Armut
Das DSW wies schon am vor gut einem Monat auf umfassendere Probleme hin. Die Überbrückungshilfe lege „den Finger noch einmal in die Wunde“, erklärte damals Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde in einem Pressestatement. „Es gibt auch eine schon vor der Pandemie existierende strukturelle Armut unter den Studierenden.“
Diese Gruppe benötige ebenso Hilfe und „hierzu brauchen wir dringend eine Reform der staatlichen Studienfinanzierung“. Wie zum Beweis präsentierte zwei Wochen später das Statistische Bundesamt die aktuellsten Zahlen zu den Geförderten nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Demnach erhielten 2019 weniger als 12% aller Studierenden noch BAföG.
Das Kleckern bei der 2019er-BAföG-Reform und den vorangegangenen Runden fand in Karliczeks „Nothilfefonds“ eine nahtlose Fortsetzung. Angesichts von möglicherweise Hunderttausenden durch die Corona-Krise in Bedrängnis geratenen Studierenden erscheinen die mit dem Paket zugesagten 100 Millionen Euro reichlich kümmerlich. Es dürfte vor allem der monatelangen Hinhaltetaktik der Regierung, den peniblen Kriterien und den bürokratischen Hürden bei der Bewilligung geschuldet sein, dass bisher nicht einmal die Hälfte der Summe ausgeschüttet wurde.
Viele dürften schon wegen der kleinlichen Zuschüsse von 100 Euro bis höchstens 500 Euro vor dem bürokratischen Spießrutenlauf zurückgeschreckt sein. Ungezählt sind auch die, die nicht so lange auf die „milde Gabe“ warten konnten und sich anders über die Zeit gerettet haben – oder nicht. Wie viele ihr Studium krisenbedingt aufgeben mussten oder noch werden, lässt sich wohl erst im Spätherbst bei Vorlage der neuesten Studierendenzahlen erahnen.
GEW fordert eine Milliarde Euro
Karliczek markiert derweil den guten Samariter, die auch noch den Rest der 100 Millionen Euro an die Ärmsten verteilt. Mehr Heuchelei geht kaum. Allein durch ihre verkorkste BAföG-Reform hat ihr Ministerium im Vorjahr 900 Millionen Euro an nicht verausgabten Mitteln gespart. Zusammen mit den 100 Millionen Euro ergäbe sich daraus genau die „eine Milliarde Euro“, die am Freitag die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) als „echte Unterstützung“ für notleidende Studierende gefordert hat.
„In Not geratene Studierende haben zurzeit die Wahl zwischen einem Darlehen, das sich als teuer verzinster Bankkredit entpuppt, und einer Überbrückungshilfe, die als zahnloses Bürokratiemonster daherkommt“, beklagt der stellvertretende Bundesvorsitzende und GEW-Hochschulexperte Andreas Keller. „Dass die Überbrückungshilfe nun um einen weiteren Monat verlängert werden soll, ist für viele Studierende ein Strohhalm, nach dem sie verzweifelt greifen müssen.“
(rw)
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