Übergang mit Ecken und KantenVom alten zum neuen BAföG
Auch wenn es eilt: die Ämter können nicht immer sofort die erhöhten Beträge auszahlen.
Studis Online: Die 26. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) ist seit knapp über drei Wochen offiziell in Kraft. An Studis Online haben sich bereits mehrere Betroffene mit der Beschwerde gewandt, sie hätten Bescheide für das anstehende Wintersemester erhalten, die noch mit den alten, durch die Reform überholten Bedarfssätzen kalkulieren. Was läuft da schief?
Bernhard Börsel: Erste Änderungen der dreistufigen Novelle sind in der Tat seit 16. Juli in Kraft. Die Anhebungen der Bedarfssätze gelten aber erst mit dem Ausbildungsbeginn, also für Schülerinnen und Schüler ab dem Schuljahr 2019/20 bzw. für Studierende ab dem Wintersemester 2019/20. Die Übergangsvorschriften für die einzelnen Paragraphen sind teils länger als die Paragraphen selbst, was der allgemeinen Verständlichkeit nicht immer dienlich ist. Vor allem gibt es diesen verbreiteten Irrglauben, dass Leistungsberechtigte exakt am Tag des Inkrafttretens der Reform mehr Geld bekommen. Dem ist aber nicht so.
Sondern?
Entscheidend ist nicht der Starttermin der Novelle, sondern der Bewilligungszeitraum. Und der beginnt für die allermeisten Studierenden erst im September oder Oktober, je nachdem, wann das Semester losgeht. Zur Verwirrung tragen auch Berichte in den Medien bei. Danach würden BAföG-Empfänger schon ab dem 1. August mehr Geld erhalten. Verwiesen wird dabei auf eine Pressemitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, in der es allerdings nur heißt, dass die Reform mit diesem Tag wirksam werde. Das wirft auch einen Schatten darauf, wie sorglos in den Redaktionsstuben mit staatlichen Informationen umgegangen wird. Tatsächlich kommt es nur in wenigen Ausnahmefällen vor, dass ein Semester schon im August startet, etwa an der Universität Mannheim, wo internationale Semesterzeiten gelten. Auch Menschen, die im Ausland studieren und Auslands-BAföG beziehen, erhalten zum Teil schon ab 1. August mehr Geld. Aber für die übergroße Mehrheit der in Deutschland Studierenden gilt das eben nicht.
Hinweis: Es gibt eine Ausnahme, bei der die Erhöhung abweichend vom Bewilligungszeitraum beginnt. Für alle, deren Bewilligungszeitraum vor August 2019 begonnen hat und der nach September 2019 endet – bspw. von April 2019 bis März 2020 – gilt die Erhöhung ab Oktober 2019.
Das alles erklärt aber noch nicht, warum sich die BAföG-Ämter die Mühe machen, Bescheide mit alten Zahlen auszugeben.
Sie können mir glauben: Gerne machen das die Kolleginnen und Kollegen bestimmt nicht. Die BAföG-Ämter arbeiten mit der BAföG-Software, die ihr jeweiliges Bundesland vorgibt. Neue Versionen werden sukzessive aufgespielt, eine Übersicht über die Neuversionen in den 16 Bundesländern gibt es jedoch nicht. BAföG-Bescheide, die noch mit überholten Werten operieren, werden maschinell geändert. Wie lange das dauert, hängt davon ab, wann in dem Bundesland die Neuversion aufgespielt wird. Kurzum: Die BAföG-Ämter der Studenten- und Studierendenwerke sind darauf angewiesen, wie rasch „ihr“ Bundesland sie mit den Übergangsvorschriften und einer aktualisierten Software bedient!
Können Sie abschätzen, wie lange sich die Umstellung hinziehen kann und ab wann die BAföG-Ämter die Bescheide auf Basis der neuen Bedarfssätze liefern können?
Inzwischen dürfte in allen Bundesländern die Software umgestellt sein. Mir ist jedenfalls nichts Gegenteiliges bekannt. Die von den Ländern beauftragten Softwarefirmen wussten ja seit dem Bundestagsbeschluss Mitte Mai 2019, wie das Gesetz ungefähr aussehen wird.
Bereits vor neun Jahren hatte der Nationale Normenkontrollrat (NKR), ein Beratungsgremium der Bundesregierung, unter dem Motto „Leichter zum Studierenden-BAföG“ Vorschläge zur Entbürokratisierung des Antragsprozederes gemacht. Dabei ging es vor allem um eine Vereinfachung der Formblätter, die mit ihrem Fachchinesisch und einer Vielzahl an Fallstricken nur schwer zu durchschauen sind. Wissen Sie, was aus dem Vorstoß geworden ist und ob und wann es neue Formblätter geben wird?
Die BAföG-Formulare auf Papier sind bundeseinheitlich in der BAföG-Formblatt-Verwaltungsvorschrift geregelt. Die Formulare müssen bei der Antragstellung verwendet werden. Uns ist nicht bekannt, dass die Bundesregierung planen würde, die Verwaltungsvorschrift verändern zu wollen.
Hat sich demnach seit 2010 nichts getan in puncto „Entschlackung“ des Antragsprozesses?
Unser Interviewpartner Bernhard Börsel ist Leiter des Referats Studienfinanzierung und Bildungspolitische Fragen beim Deutschen Studentenwerk (DSW), in dem die 57 Studenten- und Studierendenwerke in Deutschland zusammengeschlossen sind.
Es hat Änderungen gegeben, allerdings nur ungenügende. Empfehlungen des NKR-Berichts wurden durch die 23. BAföG-Novelle 2010, die 24. Novelle von 2011 und die 25. Novelle von 2016 aufgegriffen. Außerdem gab es im Jahr 2013 eine grundlegende Revision der Allgemeinen BAföG-Verwaltungsvorschrift (VwV). Diese wurde unter Einbeziehung von Sprachwissenschaftlern überarbeitet. Allerdings haben sich die Änderungen ausschließlich an dem bestehenden Gesetz orientiert. Man stellte also nicht die Frage, wie das Gesetz zu ändern wäre, damit die Formulare einfacher und weniger umfangreich ausfallen und verständlicher formuliert sind. Im Jahr 2012 hat der NKR Stellung zu den bis dahin erfolgten Maßnahmen genommen und festgestellt: „Zwar wurden die Formulare im letzten Jahr überarbeitet, eine spürbare Vereinfachung ist jedoch nicht vorgenommen worden.“
Besserung soll ja eigentlich das sogenannte e-BAföG bringen, also der papierlose Antrag via Internet unter Verwendung des elektronischen Personalausweises eID oder via DE-Mail. Alternativ bieten die Bundesländer Onlinetools an, bei denen der Antrag am Ende ausgedruckt und per Post eingeschickt werden kann. Wie viele Studierende machen bisher von dieser Möglichkeit Gebrauch?
Darüber hat die Bundesregierung im Januar mit ihren Antworten auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag Zeugnis abgelegt (Anhang am Ende der Antworten). Dabei wurden nur vollumfänglich online gestellte Anträge berücksichtigt, die den gesetzlichen Vorgaben eID und De-Mail entsprechen. Für die beiden Erhebungszeiträume 1. August 2016 bis 31. Mai 2017 sowie 1. Juni 2017 bis 30. April 2018 schlüsselte die Regierung insgesamt 801 Studierende und 99 Schülerinnen und Schüler auf. Das muss man nicht weiter kommentieren.
Tun Sie es bitte trotzdem.
Bis Ende 2022 sind Bund, Länder und Kommunen laut Onlinezugangsgesetz (OZG) von 2017 verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Das gilt auch für das BAföG. Dass es dazu kommt, wird mit jedem Tag unwahrscheinlicher. Nach Lage der Dinge wird es in der laufenden Legislaturperiode keine weitere BAföG-Novelle geben. In der Konsequenz wird die Umsetzung der Digitalisierung beim BAföG 2022 ohne die dringend erforderliche Verwaltungsvereinfachung erfolgen müssen. Das für Außenstehende undurchdringbare BAföG erhält dann lediglich eine schicke digitale Hülle. Notwendig ist aber eine Reduzierung der Anforderungen im BAföG-Gesetz und einfachere Regeln in einer einfachen Sprache, also ein „Einfach-gutes-BAföG-Gesetz“. Ohne dieses wird die Digitalisierung beim BAföG nicht den gewünschten Erfolg bringen. (rw)
BAföG-Werbung 😉
Trotz aller Probleme mit dem BAföG – und vieler Details, die beim BAföG verbessert werden sollten – gilt dennoch: BAföG beantragen lohnt sich – durch die aktuelle Erhöhung um so mehr und auch für viele, die bisher leer ausgegangen waren.
Das Deutsche Studentenwerk macht aktuell mit einer Kampagne darauf aufmerksam, dass man mit BAföG einfacher an Geld kommen kann, als mit einem Nebenjob. Hier eines der Motive: