Kümmerliche BilanzDeutschlandstipendium
Am Dienstag hatte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden Zahlen für das zurückliegende Jahr vorgelegt. 2011 sind demnach knapp 5400 Studierende in den Genuss des sogenannten Deutschlandstipendiums gekommen. Fast die Hälfte davon waren Frauen (47 Prozent), sieben Prozent der Geförderten besaßen eine ausländische Staatsangehörigkeit. Für die Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium (BMBF), Cornelia Quennet-Thielen, ist das eine Erfolgsmeldung. "Die Statistik belegt: Das Deutschland-Stipendium kommt gut an", ließ sie per Pressestatement verbreiten. Auf die Euphoriebremse trat dagegen SPIEGEL ONLINE und titelte: "Stipendiaten, wo bleibt ihr?"
Top oder Flop – was trifft es denn jetzt? Eigentlich sollte das Deutschlandstipendium schon im ersten Jahr durch 10.000 Studierende in Anspruch genommen werden. Das wäre aus Sicht der Macher aber nur der Einstieg auf dem Weg zu viel mehr. Mittelfristig sollen nach dem Willen von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) bis zu acht Prozent der Hochschüler in Deutschland gefördert werden. Das wären bei aktuell über zwei Millionen Studierenden mehr als 160.000 junge Menschen. Gemessen daran ist das bisher Erreichte eine ziemlich kleine Hausnummer – und ein gefundenes Fressen für die Gegner des Modells.
Von wegen Breitenförderung
"Vom Deutschlandstipendium profitieren weniger als 0,25 Prozent der Studierenden, damit bleibt Schwarz-Gelb von den ursprünglich anvisierten acht Prozent meilenweit entfernt", monierte am Mittwoch Kai Gehring von der Bundestagsfraktion der Grünen. Die Ministerin bleibe die Antwort schuldig, "wie daraus die vollmundig verkündete neue Stipendienkultur erwachsen soll", bemerkte er in einer Medienmittelung. "Unsichere Kurzzeit-Stipendien, die abhängen von Studienort, Studienfach und lokaler Stifterbereitschaft", gingen am Bedarf vorbei, bemängelte Gehring und warf der Ministerin vor, knappe Steuermittel zu vergeuden, "die für einen solidarischen BAföG-Ausbau fehlen".
In dieselbe Kerbe schlug sein Kollege von der SPD-Fraktion, Klaus Hagemann. Statt zu feiern, riet er Schavan, ihr Stipendienmodell besser "geordnet abzuwickeln" und das Geld den Studienförderwerken zuzuweisen sowie einen angemessenen BAföG-Erhöhungsvorschlag einzubringen. "Der Ministerin gelingt es ja nicht einmal das Geld, das sie für das Programm hat, auszugeben."
Schon 2010 kommentierten wir, das Stipendienprogramm sei eine Mogelpackung. Und nicht anders scheint es gekommen zu sein.
Tatsächlich waren 2011 zehn Millionen Euro für das Deutschlandstipendium in den Bundeshaushalt eingestellt worden. Davon sind nach Lage der Dinge allerdings nur 3,4 Millionen Euro in den Taschen der Geförderten gelandet. Wie der SPD-Abgeordnete Hagemann bereits im September 2011 publik gemacht hatte, beliefen sich die Ausgaben für Marketing, Internetportale, Schulungen und Verwaltung bis zum damaligen Zeitpunkt auf satte 2,7 Millionen Euro. Das Drumherum verschlang bisher also fast soviel wie der Zweck der Veranstaltung: Junge Menschen bei ihrer Ausbildung zu unterstützen.
Angriff auf das BAföG
Die Kritiker Schavans zweifeln ohnehin daran, dass es ihr nur um Goodwill geht. Sie sehen in dem Programm vielmehr den Versuch, die staatliche Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) schrittweise zurückzudrängen und im Gegenzug die Freiräume für privatwirtschaftliches Engagement in der Studien- und Hochschulfinanzierung auszubauen. Ziel sei demnach der Paradigmenwechsel, der da lautet: "weniger Staat, mehr privat." Dazu gibt es Befürchtungen, mit dem Modell solle der Einfluss ökonomischer Interessen an den Hochschulen ausgeweitet werden.
Im Rahmen des Deutschlandstipendiums erhalten Studenten mit "herausragenden Leistungen" monatlich 300 Euro für mindestens zwei Semester und maximal bis zum Ende der Regelstudienzeit. Die Hälfte des Betrags stammt von privaten Geldgebern aus der Wirtschaft, von Stiftungen oder Einzelpersonen. Die anderen 150 Euro schießt der Bund zu. Das Programm läuft seit Sommersemester 2011. Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes studierten die meisten der insgesamt 5375 Stipendiaten Ingenieurswissenschaften (27 Prozent), 25 Prozent kamen aus dem Bereich der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 23 Prozent entfielen auf Mathematik und Naturwissenschaften.
Hochschulen ziehen größtenteils mit
3850 der Geförderten studierten an einer Universität, 1439 an Fachhochschulen und der Rest an einer pädagogischen, theologischen oder Kunsthochschule. Von den eingeworbenen 3,4 Millionen Euro wurden 1,5 Millionen von Kapitalgesellschaften ausgeschüttet, eine Million schossen Unternehmen und Aktiengesellschaften zu, 0,4 Millionen stammten von diversen Stiftungen, 0,3 Millionen von Privatpersonen und Einzelunternehmen und 0,2 Millionen von Personengesellschaften. Nach Angaben des Bildungsministeriums machen inzwischen drei Viertel der Hochschulen beim Programm mit. Die in der Wirtschaft eingeworbenen Fördermittel beliefen sich auf rund zehn Millionen Euro. Der Betrag umfasst die Gesamtheit der für die Stipendiaten bewilligten Gelder, also nicht nur die 2011 ausgeschütteten 3,4 Millionen Euro.
Für Schavan ist all das ein Grund zum Feiern. Am Mittwoch lud sie Vertreter aus Politik, Industrie und Hochschulen in die Berliner Hauptstadtresidenz der Deutschen Telekom. Das Motto der "Dialogveranstaltung" lautete: "Viel erreicht, viel vor – das Deutschlandstipendium." Tenor des Ganzen: Alles läuft bestens und wird noch viel besser werden. Richtig große Brötchen gedenkt die Regierung schon in diesem Jahr zu backen. 2012 sollen bereits auf 36,7 Millionen Euro aus Bundesmitteln dafür aufgewendet werden. Das wäre ein Zuwachs von 276 Prozent binnen eines Jahres, kein anderes Vorhaben im BMBF-Einzelplan wird derartig ehrgeizig vorangetrieben.
Kein Ende in Sicht
Für ein vorzeitiges Ende des Programms spricht daher auch wenig bis gar nichts. "Das ist doch eine Herzensangelegenheit von Frau Schavan, davon lässt sie ganz bestimmt nicht ab", äußerte sich der Eliteforscher Michael Hartmann von der Universität Darmstadt am Mittwoch gegenüber Studis Online. Mit einer Abwicklung sei erst dann zu rechnen, wenn eine neue Regierung in anderer Parteienkonstellation ans Ruder komme. Aber auch für den Fall einer weiteren Amtszeit Schavans ist Hartmann nicht bange. "Das ist und wird nicht der beschworene große Wurf. Die Förderzahlen werden allenfalls langsam wachsen, aber nicht annähernd in den verheißenen Dimensionen." Dafür fehle es einfach an der nötigen Bereitschaft bei den Unternehmen. "Dort herrscht die Haltung vor: Warum sollte ich plötzlich für etwas zahlen, das bisher von Seiten des Staates geleistet wurde?"
Hartmann ist einer der profiliertesten Kritiker der forcierten Stipendienkultur. Er verweist auf mehrere Studien, die belegen, dass bei der Förderung nur in Ausnahmefällen sozial Bedürftige und in großer Mehrzahl Privilegierte zum Zuge kommen, die eine finanzielle Unterstützung gar nicht benötigen. Hinweise darauf liefert auch die aktuelle Statistik. Von den knapp 5400 Profiteuren des Deutschlandstipendiums sind lediglich 1276 zugleich BAföG-Empfänger. Bei der Begabtenförderung über Studienförderwerke wie der Friedrich-Ebert-Stiftung liege die entsprechende Quote dagegen mit 60 Prozent "mehr als doppelt so hoch", beklagte der SPD-Abgeordnete Hagemann. Das Modell sei daher "nicht nur schlecht umgesetzt, sondern verstärkt tendenziell auch noch eine soziale Schieflage bei den Studierenden". Derselben Meinung ist auch Hartmann, für ihn ist das Deutschlandstipendium "ein Angriff auf das BAföG".
Studierende für Abschaffung
Kritik an Schavans Prestigeprojekt kommt auch von Studierendenvertretern. Über "elitären Mist" zürnten am Dienstag die SPD-nahen Juso-Hochschulgruppen. An der Verteilung auf die einzelnen Fächergruppen mit der Bevorzugung der Ingenieurwissenschaften zeige sich die "Verwertungslogik" des Programms: "Die privaten Mittel werden allein nach profitorientierten Motiven eingesetzt. Mit einer gerechten Studienfinanzierung hat das nichts zu tun."
Auch der "freie zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs) sieht das Deutschlandstipendium als "gescheitert" an. Eine Förderung von monatlich 300 Euro sei lediglich ein "Bonus für Gutgestellte". Vollzeitstudierende, die sich nebenher ihren Lebensunterhalt verdienen müssten, "haben kaum die Möglichkeit, so gute Noten zu bekommen, dass sie ein Stipendium erhalten können". Ministerin Schavan empfahl der studentische Dachverband, ihre "unsinnige Idee (...) zu begraben".
Augen zu und durch
Die Ministerin gibt sich derweil weiter kritikresistent. Ihre Staatssekretärin Quennet-Thielen ließ sie ausrichten, sämtliche "Befürchtungen, wonach nur Studierende aus bessergestellten Elternhäusern gefördert und die Natur- und Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften durch die Mittelgeber über Gebühr bevorzugt würden, haben sich als grundlos erwiesen". Auch die Behauptung, nur Hochschulen in wirtschaftsstarken Regionen würden genügend Förderer finden, ist falsch." Das geben die neuesten Zahlen zwar nicht wirklich her, aber was soll`s. So schleppend die Fortschritte aktuell noch sein mögen, entscheidend scheint zunächst, dass überhaupt ein Anfang gemacht ist. Dafür nimmt man es mit der Wahrheit nicht ganz so genau – nach dem Motto: Augen zu und durch. Ob das Kalkül aufgeht, wird sich in einem Jahr zeigen, wenn die Bilanz für das laufende Jahr vorliegt. 2012 will Schavan ein Prozent, also 24.000 Studierende, fördern. (rw)
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