Neun-Euro-Ticket und was nun?Zeit für bundesweites Studiticket
Der Unmut an den Hochschulen wegen der finanziellen Härten durch die Energie- und Inflationskrise nimmt allmählich zu. Am Dienstag der Vorwoche versammelten sich Studierende vor dem Wissenschaftsministerium in Stuttgart, um gegen die geplante Erhöhung ihrer Semestergebühr zu protestieren.
Das örtliche Studierendenwerk will seine Beiträge aufgrund der massiv gestiegenen Betriebskosten von 74 Euro auf 99 Euro heraufsetzen, das entspricht einem Plus von fast 34 Prozent. „Die Inflation im Energiebeschaffungsmarkt und bei den Lebensmitteln trifft die Bereiche Wohnen und Gastronomie mit voller Wucht“, erklärte Geschäftsführer Marco Abe gegenüber der Presse. Deshalb verteuerten sich auch die Mieten in den Wohnheimen für alle Neuverträge ab 2023 sowie das Essen in der Mensa.
Dabei ist das Leben in diesen Zeiten ohnedies schon kostspielig genug oder für wohl nicht wenige bereits unerschwinglich. „Wir kriegen ja auch sonst alles genauso ab, alles wird teurer. Wir müssen einkaufen gehen und heizen“, bemerkte Jolanda Lehmann, Vorsitzende der Studierendenvertretung der Uni Stuttgart (Stuvus). Und ihr Kollege Marius Lichtl ergänzte: „Wir fordern das Land auf, seinen Beitrag für die Studierendenwerke zu erhöhen. Sonst will hier niemand mehr studieren.“
Mobil für 302 Euro
Frust herrscht dieser Tage auch bei Münchner Studierenden. Es ist nicht lange her, da konnten sie für neun Euro im Monat mit der Bahn durch ganz Deutschland tingeln. Demnächst müssen sie nur für die Nutzung des städtischen Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) knapp über 300 Euro pro Semester hinlegen, umgerechnet über 50 Euro monatlich.
Zum allgemeinen Ärger haben jüngst die Gesellschafter des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV) beschlossen, zum Sommersemester 2023 den Preis für die sogenannte „Isarcard Semester“ von 209,30 auf 224,70 Euro anzuheben. Fällig wird außerdem ein Solidarbeitrag, den sämtliche Studierenden entrichten müssen und der dazu berechtigt, das Netz zwischen 18 Uhr und 6 Uhr, an Feiertagen und am Wochenende zu befahren.
ÖPNV so teuer wie nie
Auch bei diesem Posten wird draufgesattelt, von 72 Euro auf 77,30 Euro. Wer auf Busse, U- und S-Bahnen angewiesen ist, muss dafür also bald 302 Euro hinblättern. Dazu kommen noch weitere Fixkosten, darunter der Beitrag für das Studentenwerk, der in München aktuell 75 Euro beträgt, womit sich die Gesamtlast auf fast 400 Euro beläuft.
Dabei sah es zunächst so aus, als stünde wenigstens in Sachen Mobilität eine Entlastung ins Haus. Im April hatte der Münchner Stadtrat entschieden, das für Schüler und Auszubildende schon seit 2020 erhältliche 365-Euro-Jahresticket auf Studierende auszuweiten. Mit knapp 30 monatlich hätte dies eine Kostenersparnis von jährlich 240 Euro bedeutet.
Daraus wird nun nichts. Im Juni hat die Bayerische Staatsregierung ihre zuvor in Aussicht gestellte Kostenbeteiligung zurückgezogen. Ohne das Geld des Freistaats, der zwei Drittel der Kosten des 365-Euro-Tickets trägt, ist das Angebot nicht finanzierbar. Statt der erhofften Erleichterung setzt es jetzt den stärksten Preisaufschlag beim ÖPNV seit sechs Jahren.
Versteckte Studiengebühren
Ebenfalls teurer wird das Studium in Mecklenburg-Vorpommern. Auch dort haben die Studierendenwerke kräftigte Beitragsaufschläge angekündigt. Für die Standorte Rostock und Wismar werden zum nächsten Sommersemester 93 Euro statt bisher 75 Euro fällig. In Greifswald, Stralsund und Neubrandenburg geht es von 75 Euro hoch auf 83 Euro. Die Wohnheimmieten ziehen ab 1. Januar um mithin 25 Euro an.
Bereits im Frühjahr hatten Studierendenvertreter mit der Kampagne „SOS-Semesterbeitrag“ ein Schlaglicht auf die vielerorts ins Unzumutbare erhöhten „versteckten Studiengebühren“ geworfen. Damals stand der Ukraine-Krieg gerade am Anfang und dessen Auswirkungen auf die Verbraucherpreise waren noch nicht absehbar.
Die seither rasant gestiegenen Preise in den Bereichen Heizen, Strom, Wohnen und Lebensmittel treffen vor allem Haushalte mit geringem Einkommen besonders heftig, darunter eine Vielzahl an Studierenden. Schon vor der Corona-Krise galt laut einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands rund ein Drittel aller Hochschüler in Deutschland als arm. Dem Durchschnittsstudenten fehlten demnach fast 500 Euro für ein finanziell gesichertes Dasein.
Entlastungen im Verzug
Die Nöte dürften inzwischen noch einmal deutlich größer sein und Besserung ist nicht in Sicht. Die Auszahlung des von der Ampelkoalition avisierten 200-Euro-Zuschusses für alle Studierenden wird wegen Umsetzungsproblemen nicht vor Januar 2023 erfolgen. Kritiker erachten den Betrag ohnedies als viel zu knapp bemessen.
Selbst der schon im Frühjahr beschlossene Heizkostenzuschuss von 230 Euro beziehungsweise die Energiepauschale von 300 Euro für BAföG-Bezieher und/oder Studierende mit steuerpflichtigem Job wurden noch nicht in allen Bundesländern ausgezahlt. In dieser Situation kann jeder Euro an Mehrausgaben junge Menschen in Ausbildung an oder über die Belastungsgrenze bringen. Oder jeder Euro weniger kann mitentscheidend für die Fortsetzung des Studiums sein.
Dabei hat gerade das Neun-Euro-Ticket große Potenziale in puncto preiswerter und klimaverträglicher Mobilität aufgezeigt. Noch ist unklar, wann und zu welchen Konditionen ein Nachfolgemodell kommen wird. Im Gespräch sind ein 365-Euro-Ticket oder Monatskarten in der Größenordnung von 29 Euro, 49 Euro und 69 Euro. In den Sternen steht ferner, ob und wie Studierende profitieren werden.
365-Euro-Ticket für BaWü
Mancherorts ist man schon einen Schritt weiter. Baden-Württemberg führt zum 1. März 2023 ein landesweites Jugendticket zum Preis von 365-Euro-Ticket ein, das neben allen unter 21-Jährigen Studierende, Freiwilligendienstleistende und Auszubildende bis zum vollendeten 27. Lebensjahr einschließt. Dabei verspricht das Landesverkehrsministerium: „Wenn Studierende im Rahmen ihres Semesterbeitrags bereits einen Anteil für die ÖPNV-Nutzung entrichten, reduziert sich der Kaufpreis des Jugendtickets entsprechend.“
Mehr Leistung zu günstigen Preisen genießen seit August die Studierenden der Hochschulen in Rostock und Wismar. Mit dem sogenannten Mirror-SemesterTicket können sie seither alle öffentlichen Verkehrsmittel auf dem Gesamtnetz des Verkehrsverbundes Warnow (VVW) nutzen, der die Hanse- und Universitätsstadt und den Landkreis Rostock umfasst.
Allerdings wünschte man sich statt des Kleinkleins an lokalen und regionalen Modellen größere Lösungen, im Idealfall ein bundesweit einheitliches Studierendenticket. Beim freien „zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) plant man „mittelfristig eine Kampagne, in der studentische Mobilität und explizit die Nachfolge des Neun-Euro-Tickets eine Rolle spielen werden“, wie am Dienstag Vorstandsmitglied Carlotta Eklöh gegenüber Studis Online erklärte.
Mittelfristig könne dabei die Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets in Betracht gezogen werden, sofern eine einfache Verrechnungsmöglichkeit mit dem Semesterticketbeitrag gefunden würde. Aktuell könne aber auch ein „365 Euro-Ticket oder ein ermäßigtes bundesweites Ticket für unter 30 Euro“ eine Lösung sein, sagte Eklöh. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass Studierende mit ihrem Semesterticket einen solidarischen Beitrag für ihre Mitstudierenden leisteten. Entsprechend müsse die Konzeption eines bundesweiten Angebots „in enger Absprache mit den Studierendenschaften stattfinden“.
Druck auf Solidarmodell
Wie man die Interessen Studierender übergeht, zeigt sich in diesen Tagen im Land Berlin. Bis ein bundesweiter Nachfolger des Neun-Euro-Tickets gefunden ist, hat der Senat zur Überbrückung ein 29-Euro-Monatsticket für den Tarifbereich AB für Oktober, November und Dezember aufgelegt. Verkaufsstart war am Montag.
Die an sich gute Idee, hat einen Haken: Studierende müssten aufgrund der solidarischen Mitfinanzierung ihrer Kommilitonen demnächst mehr zahlen, „als all diejenigen, die sich selbstbestimmt Tickets kaufen können“. So steht es in einem Brandbrief des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Technischen Universität.
Die Studierendenvertreter hatten in Verhandlungen mit Senat und dem Verkehrsverbund Berlin- Brandenburg (VBB) vergebens darauf gedrängt, diesen Punkt zu berücksichtigen, weil sie andernfalls das Solidarmodell an sich bedroht sehen. Dieses werde an „Rückhalt verlieren“, sobald billigere Monatstickets für viele Studierende wirtschaftlich sinnvoller seien, weil sie bedarfsorientiert erworben werden könnten. „Die politischen Entscheidungsträger müssen hier ein klares Zeichen setzen.“
Das erhofft man sich auch von der Bundesregierung, die in Sachen Neun-Euro-Ticket-Nachfolge möglichst rasch liefern sollte. Der studentische Dachverband fzs hält indes auf längere Sicht betrachtet an seiner Forderung nach einem dauerhaft kostenlosen ÖPNV für Studierende und Azubis fest, denn, so Eklöh: „Mobilität darf keine Frage des Geldbeutels sein!“ (rw)