Studierende zum Vergessen?Entlastungspaket der Ampel mit Lücken
Die Bundesregierung plant viele Entlastungen – aber nur wenige für Studierende.
Man wird das Gefühlt nicht los: Wann immer die Politik in akuten Notsituationen etwas zu verteilen hat, bleiben Studierende wie selbstverständlich außen vor. Als in den Anfängen der Pandemie eine Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen längst von diversen Unterstützungsmaßnahmen der Bundesregierung – mehr oder weniger – profitierten, gab es für Studierende noch lange nichts. Erst mit monatelanger Verspätung raffte sich die damalige Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) auf, ihre „Überbrückungshilfen“ aufzulegen. Der sogenannte Hilfsfonds war bekanntlich nicht gerade üppig: Er enthielt wenig Geld für wenige der vielen von der Krise Gebeutelten.
Seit über fünf Wochen wütet ein Krieg in der Ukraine und die Energie- und Lebensmittelpreise gehen durch die Decke. Die Ampelkoalition springt erneut großen Teilen der Bevölkerung mit allerlei Zuwendungen bei, um die finanziellen Härten der Krise abzumildern. Und wer guckt abermals in die Röhre? Die Studierenden.
90 Prozent außen vor
Nicht alle zwar, aber doch die allermeisten. Empfänger von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG), ob Hochschüler oder Auszubildende, haben nach den jüngsten Beschlüssen des Bundeskabinetts Anrecht auf die „Energiepauschale“. Aber: Noch höchstens elf Prozent aller Studierenden beziehen derzeit BAföG und diese wenigen sollen auch nicht einmalig 300 Euro bekommen wie alle erwerbstätigen und steuerpflichtigen Personen, sondern lediglich 230 Euro. Warum eigentlich?
Nun mag es auch ein paar steuerpflichtige Studierende mit Einkommen über dem Steuerfreibetrag von 9.984 Euro geben, denen dann ebenfalls 300 Euro zustehen. Die große Mehrheit der Hochschüler in Deutschland arbeitet aber entweder in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, sehr häufig als Minijobber auf 450-Euro-Basis, oder sie haben gar kein Erwerbseinkommen, weil sie durch ihre Eltern unterstützt werden. Sie alle gehen in Sachen Energiebonus leer aus.
Durch alle Raster gefallen
Weil das für praktisch alle Punkte des vor neun Tagen durch Rot-Grün-Gelb auf den Weg gebrachten sogenannten Entlastungspakets II gilt, fordern Studierendenverbände Nachbesserungen im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsprozesses. Wieder einmal fielen Studierende bei den Planungen „durch alle Raster“, beklagte der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) in einer Medienmitteilung vom Donnerstag. Studierende hätten in der Regel „wenig Geld zur Verfügung und sind dadurch stark betroffen von den steigenden Energiepreisen“, erklärte Vorstandsmitglied Matthias Konrad. Deshalb müsse die Regierung den „Zuschuss für alle zugänglich machen“.
Kritik kommt auch vom konservativen Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). „Die Ampel scheitert bei ihrem Krisenmanagement. 2,9 Millionen Studenten warten auf echte Entlastung.“ In einer Stellungnahme vom 26. März weist der Verband unter anderem auf den Kindergeldbonus von 100 Euro hin, den laut Kabinettsbeschluss Familien pro Kind erhalten sollen. Dieses Geld kommt auch Studierenden mit Kindern zugute. Ebenso können sich Studierende, deren Eltern den Betrag an sie weiterreichen, auf die Einmalzahlung freuen, allerdings nur bis Vollendung des 25. Lebensjahres. Dann erlischt ihr Kindergeldanspruch.
7,3 Prozent Inflation
Ohnehin sind 100 Euro extra in möglicherweise etlichen Monaten, die die Preisrallye an den Energie- und Rohstoffmärkten noch anhalten könnte, nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein beziehungsweise die heiße Heizung. Und dummerweise geht dieser Tage auch noch der Winter in die Verlängerung. Im übrigen befinden sich nicht nur die Preise für Gas, Heizöl, Benzin und Strom auf einem nie dagewesenen Höhenflug. Auch die Kosten für Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs erreichen immer neue Rekorde. Der Handelsverband Deutschland (HDE) rechnet in Kürze mit einem Preisauftrieb im zweistelligen Prozentbereich.
Außerdem vermeldete am Mittwoch das Statistische Bundesamt für den zurückliegenden März eine Inflationsrate von „voraussichtlich plus 7,3 Prozent“ gegenüber dem Vorjahresmonat. So hoch lag der Wert seit vierzig Jahren nicht mehr. Eine der ersten Gruppen der Gesellschaft, die das über kurz oder lang an ihre finanziellen Grenzen bringt, werden die Studierenden sein. Umso erstaunlicher, dass die Politik ausgerechnet sie praktisch „vergessen“ hat – wie der RCDS feststellte. Angesichts der Erfahrungen in zwei Jahren Pandemie oder etlicher Null- und Knauserrunden beim BAföG könnte man glatt auf die Idee kommen, hinter dem Vergessen steckt Kalkül.
Fragen zum Neun-Euro-Ticket
Womöglich ein Beleg mehr: Die Regierungspläne für eine vergünstigte Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Die Ankündigung, für ein Vierteljahr Monatstickets zu nur neun Euro anbieten zu wollen, hört sich vielversprechend an. Allerdings hätten Studierende gerade erst zum Start des Sommersemesters ihr ÖPNV-Halbjahresticket zum Preis von teilweise „200 Euro und mehr“ bezahlt, gab der „fzs“ zu bedenken. Es wäre gewiss hilfreich zu wissen, wie die Regierung mit dieser Diskrepanz umgehen will. Oder will sie die Studierenden auf den Kosten sitzen lassen, während demnächst jeder Normalverbraucher zum Kleckerpreis mit Bus, Tram und S-Bahn unterwegs ist?
Vielleicht aber sollte man der Regierung in diesem Fall durchaus einmal wohlmeinend unterstellen, die Sache schlicht verschwitzt zu haben. Denn natürlich gibt es auch viele andere Menschen mit ÖPNV-Abo, denen die Ampel das Neun-Euro-Ticket bestimmt nicht einfach vorenthalten will – von wegen: Pech gehabt, dass Dir das Klima schon vor dem Ukraine-Krieg wichtig war. Auch beim Deutschen Studentenwerk (DSW) geht man fest davon aus, dass diese Leerstelle im Regelwerk in den parlamentarischen Beratungen noch geschlossen wird. Von daher wirke die Aufregung beim „fzs“ in diesem Punkt ein wenig aufgebauscht, bemerkte am Freitag ein DSW-Mitarbeiter gegenüber Studis Online.
Vorsicht: Ironie!
Zeit für Klarstellungen, Nachbesserungen und Konkretisierungen bleibt den Regierenden ja ohnedies noch genug. Mit der Maßgabe, das Paket solle „so zügig wie möglich“bei den Bürgern ankommen, wird es wohl im Mai vom Bundestags verabschiedet, um dann „frühstens zum 1. Juni“ in Kraft zu treten. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Preistreiber an den Energiebörsen – wie immer sind hier auch gierige Spekulanten im Spiel – den Verbrauchern bis dahin eine Verschnaufpause gönnen oder der Ukraine-Krieg wenigstens einen Aussetzer hat.
Studierenden sei auf jeden Fall geraten, sich schleunigst ein Auto zuzulegen. Schließlich will die Bundesregierung die Energiesteuer auf Kraftstoffe auf das europäische Mindestmaß reduzieren. Ein Liter Benzin wird dann 30 Cent billiger zu haben sein, ein Liter Diesel 14 Cent. Der Rabatt wird planmäßig zwar nur auf drei Monate befristet, gilt dann aber für alle Kfz-Halter – also auch für Studenten. Auf zum BMW-Händler, das könnte sich lohnen ... (rw)