Nicht-EU-Ausländer nehmen ReißausStudiengebühren in Baden-Württemberg
Nicht-EU-Bildungsausländer in Baden-Württemberg müssen zahlen – und bleiben daher zunehmend weg.
An der Hochschule Heilbronn erlebt „Apartheid“ ein Comeback. Menschen vom schwarzen Kontinent müssen draußen bleiben. Nicht wegen ihrer Hautfarbe. Ihnen fehlt es einfach am Geld, die verlangten Studiengebühren zu bezahlen. „Bei uns sind insbesondere die Studierenden aus den armen Ländern betroffen, die sich das nicht mehr leisten können“, beklagte sich Ruth Fleuchaus dieser Tage gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Sie ist Prorektorin für Internationales und Diversität und muss seit über einem Jahr mitansehen, wie ihre Klientel Reißaus nimmt. Am auffälligsten seien die Auswirkungen bei Studenten aus afrikanischen Ländern. „Wir hatten mehrere Hundert bei uns. Jetzt kommt keiner mehr nach.“
Seit Wintersemester 2017/2018 müssen internationale Studierende von außerhalb der Europäischen Union 1.500 Euro im Semester dafür hinlegen, an einer Hochschule im Ländle studieren zu können. Die seinerzeit von der grün-schwarzen Landesregierung gegen starke Proteste durchgesetzte Regelung hat rückblickend genau das gebracht, was ihre Kritiker vorausgesagt haben. Die Zahl der Zugewanderten aus fernen Ländern ist eingebrochen – nicht „moderat“, wie die zuständige Wissenschaftsministerin Theresia Bauer von Bündnis90/Die Grünen gerne behauptet, sondern massiv und schlagartig. Gleich zum Auftakt der „Reform“, also im Oktober 2017, zählten die Landeshochschulen verglichen mit dem Vorjahreszeitraum 19,2 Prozent weniger Neueinschreibungen von Personen aus dem Nicht-EU-Ausland.
Löchriger Bestandsschutz
Die Daten stammen aus Bauers Ressort und wurden im Mai durch eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion publik. Was sie nicht offenbaren, ist die Zahl derer, die ihr Studium wegen der Zahlungsverpflichtung abgebrochen und Baden-Württemberg den Rücken gekehrt haben. Nach dem Gesetzeswerk genießen Menschen, die vor 2017/18 immatrikuliert waren, Bestandsschutz und können ihr Studium gebührenfrei „zu den bestehenden Bedingungen fortführen und beenden“. Der Schutz erlischt jedoch, sobald man den Studiengang wechselt (selbst, wenn dieser artverwandt ist), einen „nachfolgenden Master-Studiengang“ oder ein Zweitstudium absolviert und wenn man den Studienort innerhalb Baden-Württembergs wechselt (selbst bei identischem Studiengang).
Für alle diese „Altfälle“ gilt: Entweder entrichten die Betroffenen die Gebühren oder sie schmeißen ihr Studium „freiwillig“ hin. Exmatrikulationen von Amts wegen werden hingegen dann fällig, wenn die Zahlungsfrist überschritten ist. Ratenzahlungen sind nicht gestattet. Immerhin sieht das Gesetz für Studienneulinge verschiedene Befreiungstatbestände vor: So werden etwa Hochbegabte nicht zur Kasse gebeten oder auch Menschen aus besonders armen Weltregionen. Ausnahmen sind auch dann möglich, wenn jemand über ein Austauschprogramm an eine Landeshochschule kommt oder ein Asylsuchender gute Chancen auf eine Anerkennung hat.
Kümmerliche Einnahmen
Tatsächlich mildern diese Regelungen die Härten der neuen Praxis. Nach Bauers Statistik haben im Wintersemester 2017/18 lediglich 2.839 Studierende aus Nicht-EU-Ländern die Semestergebühr beglichen, bei insgesamt 5.688 Studienanfängern von außerhalb der Europäischen Union. Die Bilanz konterkariert allerdings ein zentrales Motiv der „Reform“. Deren Ausgangspunkt waren nämlich Sparvorgaben der Landesregierung zur Erfüllung der sogenannten Schuldenbreme. Anstatt weiter beim Hochschulbudget zu kürzen, suchte die Ministerin ihr Heil darin, die fraglichen knapp 50 Millionen Euro durch Mehreinnahmen wieder reinzuholen. Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer, verbunden mit solchen für ein Zweitstudium in Höhe von 650 Euro pro Semester, boten sich an, weil die betroffenen Gruppen vergleichsweise klein sind und sich nicht oder kaum zur Wehr setzen können.
Bisher bleibt Bauers Ernte aber weit hinter den Planungen zurück. Im Wintersemester 2017/18 spülte die Campusmaut nur kümmerliche 4,2 Millionen Euro an Mehreinnahmen in die Landeskasse. Dabei hatte die Ministerin schon im ersten Jahr mit einem Plus von 21 Millionen Euro kalkuliert. Zusammen mit den Erträgen aus den Gebühren für ein Zweitstudium will sie mittelfristig sogar 45 Millionen Euro extra generieren. Aus Sicht der SPD zeige sich hier ein „eklatantes Missverhältnis von Aufwand und Ertrag“ und es wäre „klar ersichtlich, dass der warme Geldregen im Landeshaushalt durch die eigentlich erwarteten sprudelnden Einnahmen aus internationalen Studiengebühren so nicht kommen wird“.
23 Prozent exmatrikuliert
Das wirft einmal mehr Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Instruments auf. „Für uns sind die Gebühren ein Wettbewerbsnachteil“, zitierte die dpa Baldur Veit, Leiter des International Office an der Hochschule Reutlingen. Eigentlich finde er diese fair gegenüber den Steuerzahlern in Deutschland. „Aber dann bitte überall“, nicht nur in Baden-Württemberg. „Wir wissen ganz konkret, dass viele, die gekommen wären, nicht gekommen sind.“ Nach einer dpa-Umfrage sind es vor allem die kleineren Hochschulen im Land, die starke Rückgänge an Bewerbern verbuchen – und darunter leiden: So wären in Heilbronn laut Prorektorin Fleuchaus insbesondere die Bereiche IT und Technik betroffen, „die Fächer eigentlich, die wir brauchen in Deutschland, das ist die Ironie“. Zweck des internationalen Austauschs sei es doch: „Wir holen die Studierenden rein, bilden sie aus und haben sie hier für uns in der Wirtschaft. Oder sie gehen zurück und bauen in ihren Ländern Strukturen auf.“
Die Schwäbische Zeitung berichtete vor einem Monat, dass sich an der Hochschule Ravensburg-Weingarten 23 Prozent der Studenten aus Nicht-EU-Ländern zum laufenden Wintersemester exmatrikuliert hätten. Überdies seien die Bewerberzahlen für den Studiengang „Electrical Engineering and Information Technology“ von 225 im Jahr 2017 auf 90 im Folgejahr zurückgegangen. Das entspricht einem Schwund von 60 Prozent. „Der Rückgang ist ein Signal“, gab das Blatt Prorektor Michael Pfeffer wieder. „Jeder Abbrecher ist ein Verlust. Das ist Ressourcenverschwendung.“ Internationale Studenten bedeuteten für die Hochschule viel mehr Verwaltungsaufwand als einheimische. Die 300 Euro, die von den 1.500 Euro direkt an die Hochschule fließen würden, deckten diese Kosten nicht.
Grüne Parteijugend dagegen
An den großen Hochschulen im Südwesten spürt man dagegen keine größeren Veränderungen. An den Universitäten in Stuttgart, Karlsruhe und Freiburg sollen die Bewerber- und Studierendenzahlen in der Gruppe der Nicht-EU-Ausländer weitgehend konstant geblieben sein, schrieb die dpa. Auch an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart gebe es eine stabile Nachfrage. Allerdings seien die Studierenden dort kaum von den Gebühren betroffen, erklärte ein Sprecher.
Über die Entwicklung im laufenden Semester will das Ministerium erst im kommenden Frühjahr informieren. Kritiker befürchten derweil, dass sich der Trend zur „Flucht“ aus dem Ländle weiter verstärken wird. Die Liste der Gegner ist lang: Dazu gehören die Landesstudierendenvertretung (LAK BW), das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS), Gewerkschaften, SPD, Jusos, die Linkspartei und nicht zuletzt die Grüne Jugend. Der Parteinachwuchs war Ende 2018 auf dem Landesparteitag in Heidenheim mit einem Antrag zur Rückabwicklung der „Reform“ gescheitert. Kopfweh bereitet das Treiben auch den Grünen im Bund sowie deren Bundestagsfraktion. Zu mehr als windelweichen Appellen an die Parteifreunde in Stuttgart, ihre Politik zu überdenken, hat es bis dato aber nicht gereicht.
Ökonomischer Unsinn
Die Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg (LAK BW) macht dagegen handfesten Druck und hat eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. In einer schriftlichen Stellungnahme an den Verfassungsgerichtshof vom 31. Oktober schlüsselt sie ihre Kritikpunkte auf: Die Gebühr schwäche den Standort, wirtschaftlich profitiere niemand davon, weniger Studierende bedeuteten eine „geschwächte Konsumkraft und damit einen geringeren Beschäftigungseffekt“, zudem gingen den Hochschulen mit sinkenden Studierendzahlen Mittel aus dem Hochschulpakt durch die Lappen. „Studieren wird zum elitären Privileg. Mit der Idee einer freien Wissenschaft, mit Chancengleichheit, mit der Idee von Bildung als Menschenrecht hat das nichts zu tun.“
„Ökonomischer Unsinn“, titelte Mitte November das Magazin Kontext: Wochenzeitung und verwies auf eine Studie des Bundesbildungsministeriums von 2014. Demnach würden sich die Ausgaben der Steuerzahler für ausländische Studierende volkswirtschaftlich bereits rentieren, wenn nur 30 Prozent der Absolventen mindestens fünf Jahre lang nach ihrem Studium in Deutschland arbeiten. Erhebungen zufolge liegt der Anteil derer, die nach Abschluss des Studiums längerfristig in Deutschland bleiben wollen, aber deutlich darüber. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) bezog sich Ende Juni auf zwei Befragungen unter ausländischen Studierenden. Die erste besagt, dass „56 Prozent“ dauerhaft hier arbeiten wollen, die zweite kommt gar auf eine Quote von fast „70 Prozent“
NRW-Regierung zögert
Im Wissenschaftsministerium ticken die Uhren anders. Dinge wie „Fachkräftemangel“ oder die Gefahr, mit ihrer Ausgrenzungspolitik das Süppchen rechter Populisten anzureichern, spielen sich offenbar außerhalb Bauers Wahrnehmung ab. Bände spricht auch die Begründung ihres Projekts. Im fraglichen Gesetzentwurf heißt es, Studienplätze für Internationale Studierende bereitzuhalten, gehöre „nicht zu den zwingenden Aufgaben des Gemeinwesens“. Angesichts einer gewünschten Internationalisierung der Hochschulen sei eine „Verringerung des von Internationalen Studierenden nutzbaren Studienplatzangebots gegenüber der Einführung von Studiengebühren die schlechtere Alternative. Studiengebühren für Internationale Studierende sind damit für die Stärkung der Internationalisierung der Hochschulen erforderlich.“ Darauf muss man erst einmal kommen.
Womöglich kann dabei nicht einmal mehr ihre Amtskollegin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) in Nordrhein-Westfalen (NRW) folgen. Die wollte es Bauer eigentlich längst gleichgetan haben und deren Modell auf die Hochschulen an Rhein und Ruhr übertragen. Um das von CDU und FDP angekündigte Projekt ist es inzwischen merkwürdig still geworden, wohl auch deshalb, weil man die Erfahrungen im Nachbarland weiterhin beobachten wolle. Mithin hat das Zögern damit zu tun, dass inzwischen auch die AfD in NRW Studiengebühren für Ausländer fordert – ausdrücklich nach dem Vorbild Baden-Württembergs. Zu Ministerin Bauer bemerkte ein AFD-Abgeordneter zuletzt im Düsseldorfer Landtag: „Eine weise Frau.“ (rw)