Ländle grenzt ausDeutlich weniger internationale Studienanfänger in Baden-Württemberg
Die Studiengebühren für Nicht-EU-Bildungsausländer in Baden-Württemberg haben Folgen …
Man stelle sich vor, Baden-Württembergs Autoindustrie würde plötzlich um ein Fünftel einbrechen oder das Land büßte mit einem Mal 20 Prozent seiner Steuereinnahmen ein. Oder der Grünen-Partei im Südwesten liefen über Nacht 20 Prozent ihrer Wähler davon. Was wäre das für eine Aufregung im Ländle. Und dann gibt es Ereignisse, um die nicht so viel Wind gemacht wird: Nach einer aktuellen Erhebung haben sich zum laufenden Wintersemester 21,6 Prozent weniger Studierende aus Staaten von außerhalb der Europäischen Union (EU) an den baden-württembergischen Hochschulen neu eingeschrieben als im Vorjahr. Das ist ohne Frage ein ziemlich massiver Einbruch und Kritiker warnen deshalb vor einem Verlust an Weltoffenheit, wissenschaftlichem und kulturellem Austausch.
Theresia Bauer, grüne Wissenschaftsministerin, sieht die Dinge anders. Für sie sind 21,6 Prozent ein „moderater Rückgang“, der in dem Umfang liege, „wie wir ihn erwartet haben“. Gesagt hat sie das am Dienstag vor Pressevertretern in Stuttgart. An ihrer Seite saß dabei der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der ebenfalls manches Bonmot zum Thema beisteuerte, wovon dieses hier herausstach: „Die Attraktivität Baden-Württembergs als Studienziel ist ungebrochen: Junge Menschen aus der ganzen Welt kommen gerne zu uns und nutzen die hervorragenden Studienbedingungen und die Qualität an unseren Hochschulen.“
Kommentar: Hört auf zu heucheln!
Jetzt stelle man sich vor, die Grünen wären nicht in der Regierung und nicht verantwortlich dafür, dass sogenannte Nicht-EU-Ausländer seit Beginn des Wintersemesters 2017/18 jährlich 3.000 Euro Studiengebühren entrichten müssen. Würden sie sich dann immer noch hinstellen und angesichts von haufenweise abgewanderten Studierenden tönen, wie „ungebrochen attraktiv“ doch die Hochschulen sind? Man kann sicher sein: Nein – in der Opposition würden sie sich stattdessen hinstellen und auf die Regierung schimpfen und klagen, welch immensen Schaden sie dem Land zufüge und dass Baden-Württemberg seiner Weltoffenheit verlustig ginge und dass man mit dieser Art von Politik der AfD in die Karten spiele und so weiter und so fort. Und man darf sich noch einer Sache sicher sein: Es ist auch und genau diese Doppelbödigkeit und Doppelzüngigkeit der politischen Amtsträger und Parteien, die dafür sorgt, dass sich Menschen in Scharen von der Politik abwenden, nicht mehr zur Wahl gehen oder den Rattenfängern auf der Rechten in die Fänge gehen.
Man muss den Grünen gar nicht unterstellen, dass sie mit der Einführung einer Campusmaus für Ausländer rassistische Ressentiments bedienen wollten. Ausgangspunkt für die Entscheidung waren „Sparvorgaben“ zur Erfüllung der sogenannten Schuldenbremse. Diese haben Bund und Länder unter dem Vorwand in ihre Verfassung geschrieben, einer vermeintlich exzessiven staatlichen Ausgabenpolitik Schranken zu setzen. „Nebenwirkung“ des Konstrukts ist aktuell aber, dass dringend notwendige Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, auch und vor allem im Bildungsbereich, nicht getätigt werden können. Weil Ministerin Bauer den ohnedies chronisch unterfinanzierten Hochschulen nicht noch mehr Mittel wegnehmen wollte, kam sie auf die Idee, die für 2017 auferlegten Kürzungsvorgaben von knapp 50 Millionen Euro durch Mehreinnahmen zu kompensieren.
Schwache zur Kasse
Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer, verbunden mit solchen für ein Zweitstudium in Höhe von 650 Euro pro Semester, boten sich an, weil die betroffenen Gruppen vergleichsweise klein sind und sich nicht oder kaum zur Wehr setzen können. Um auf Nummer sicher zu gehen, versah man das Gebührengesetz mit ein paar sozialverträglichen Maßnahmen – also mit Härtefallregeln, Stipendien für finanzschwache Bewerber und der Möglichkeit der Hochschulen, fünf Prozent der Studierenden von der Bezahlpflicht auszunehmen. Außerdem sollen die Hochschulen 300 Euro (20 Prozent der 1.500 Euro Semesterbeitrag) für sich behalten dürfen und die Mittel einer besseren Betreuung der internationalen Studierenden zugutekommen lassen. Die Botschaft an Betroffene und Bürger ging so: Wir meinen es nur gut und für das Geld gibt es auch etwas zurück. Und bestimmt unternahm die Regierung all das in der Hoffnung, dass die Zahl derer, die dem Land den Rücken kehren oder ihm fern bleiben werden, überschaubar bleibt.
Das Kalkül ist nicht aufgegangen. In absoluten Zahlen haben sich nach vorläufigen Ergebnissen 5.155 Nicht-EU-Ausländer neu immatrikuliert. Das waren über 1.110 weniger als im Vorjahr. Kaum Veränderungen gab es an den Kunst- und Musikhochschulen mit ihrem traditionell sehr hohen Ausländeranteil (minus 3,2 Prozent). Die Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften (inklusive Duale Hochschule Baden-Württemberg) verzeichnen einen Rückgang von 23,1 Prozent bzw. 21,4 Prozent. Gegen den Trend verbuchen die Pädagogischen Hochschulen sogar einen Zuwachs um sieben Prozent.
Schwund vielleicht noch stärker?
Aussagekräftiger wäre freilich die Gesamtzahl der Nicht-EU-Ausländer. In der Zeitreihe betrachtet ließe sich dadurch ermessen, ob und wie viele Betroffene die Hochschulen im Gefolge des Gebührenbeschlusses verlassen haben. Nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) studierten im Vorjahr 24.000 Menschen von außerhalb der EU in Baden-Württemberg, davon stammte der größte Teil aus China, Indien, Russland und der Türkei. Neue landesübergreifende Zahlen dazu werden erst Anfang des kommenden Jahres vorgelegt. Es ist damit zu rechnen, dass der Schwund am Ende stärker ausfällt, als das Zahlenwerk der Ministerin offenbart. Fraglos wird es Fälle geben, die ihr Studium aus finanziellen Gründen aufgegeben oder den Studienort gewechselt haben.
Laut einer Mitteilung des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) müsse von einem „weitaus höheren Rückgang ausgegangen werden“. Zum Beleg verweist der Verband auf Zahlen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT): Dort schrieben sich 753 internationale Studierende ein, während es im Vorjahr noch 1098 waren. Das entspricht einem Minus von über 30 Prozent. Allerdings lässt sich das nicht verallgemeinern. An der Universität Hohenheim mit seinem hohen Anteil an entwicklungspolitischen Studiengängen sanken die Anmeldezahlen lediglich von 165 auf 153.
Alles im grünen Bereich?
Unabhängig davon, wie die Lage wirklich ist und wie sie eine künftige Auswertung abbilden wird – eine schlechte Nachricht ist das 21,6-Prozent-Defizit allemal. Redlich und ein Beitrag zur Glaubwürdigkeit von Politik wäre es, dies auch so kenntlich zu machen und, noch besser, mögliche Fehler einzuräumen. Wie es nicht geht, demonstrierten am Dienstag Bauer und Kretschmann. Der Regierungschef nannte den Gebührenbeschluss eine „mutige Entscheidung“ und eine „wichtige Weichenstellung“ für die Zukunft. Damit stärke man die Internationalisierung, „indem ein optimales Betreuungs- und Lehrangebot“ geschaffen werde. Auch für seine Wissenschaftsministerin ist alles im grünen Bereich: Die Zahl der internationalen Studierenden steige seit vielen Jahren so massiv, „dass auch der neue Wert noch über dem Niveau des Wintersemesters 2011/12 liegt“, erklärte Bauer. Zudem zeigten Erfahrungen aus anderen Staaten, dass der „Nachfragerückgang zunächst rund 20 Prozent beträgt und nach drei bis vier Jahren wieder ausgeglichen sein wird“.
Zur Krönung des Ganzen verkündete Bauer schließlich noch das: Die „guten Werte“ seien „umso bemerkenswerter“, als die staatlichen Hochschulen in Baden-Württemberg derzeit noch die einzigen bundesweit seien, „an denen solche Gebühren erhoben werden“. Dabei schwingt mit: Wenn anderorts und vielleicht ja schon bald überall Gebühren fällig werden, studieren die Internationalen gleich wieder viel lieber im Ländle. Tatsächlich schickt sich gerade die neue CDU-FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen (NRW) an, denselben Weg zu gehen und sich, wie die Ministerin mit hörbarem Stolz äußerte, am „Baden-Württemberg-Modell“ zu orientieren. Zum Mitschreiben: Die Grünen freuen sich, wenn Schwarz-Gelb – im Bund wegen seiner harten neoliberalen Gangart gerade als „Jamaika-Verhinderer“ an den Pranger gestellt – auf Landesebene eine neoliberale Hochschulreform grüner Machart abkupfert.
Maximale Beliebigkeit
Solche Widersprüche hält man aus, solange man die Macht innehat – was freilich für alle Parteien gilt. Geht die Macht irgendwann wieder flöten, findet man schnell wieder zu „alten Grundsätzen“ zurück. Oder man setzt gleich auf maximale Beliebigkeit, wie zum Beispiel Nico Weinmann, FDP-Abgeordneter im Stuttgarter Landtag. In der Presse geißelte er die Gebühren als „grüne Absonderlichkeit“, sie bedeuteten einen hohen Verwaltungsaufwand und weniger Einnahmen, als sich Bauer davon versprochen habe. Aber seine Parteifreunde in Düsseldorf sind gerade drauf und dran, die „grüne Absonderlichkeit“ zu kopieren. Wobei die zuständige Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) angekündigt hat, zunächst die Entwicklung in Baden-Württemberg genau zu analysieren. Man darf gespannt sein, welche Lehren sie daraus zieht.
Aufschlussreich ist auch, dass die Bundestagfraktion der Grünen sich einst klar gegen Bauers Gebührenmodell positioniert hatte. In einer Stellungnahme des hochschulpolitischen Sprechers Kai Gehring las sich das einmal so: „Internationale Studierende bereichern unser Land und sorgen für hochqualifizierte Einwanderung: ob als künftige Fachkräfte hierzulande oder als Freunde und Botschafter Deutschlands in der Welt.“ Allerdings liegen derlei Wortmeldungen lange zurück, nach der parlamentarischen Beschlussfassung im Mai dieses Jahres war davon nichts mehr zu hören. Bundes- und Landespolitik sind schließlich zwei Paar Schuhe …
Parteinachwuchs probt Aufstand
Immerhin: Der Parteinachwuchs will sich nicht mit den Zuständen abfinden. Zum anstehenden Landesparteitag am Wochenende in Heidenheim bringt die Grüne Jugend (GJ) einen Antrag ein, der auf Rücknahme der Gebühren für Nicht-EU-Ausländer sowie für das Zweitstudium dringt. „Wir hoffen sehr, dass sich die Delegierten für ein weltoffenes Baden-Württemberg aussprechen“, bekundete GJ-Landeschef Marcel Roth gegenüber der Badischen Zeitung. „Es ist absurd, wenn die Landesregierung in Zeiten sprudelnder Steuerquellen die Sparaxt an einen zentralen Punkt der Internationalisierung anlegt“, merkte auch Co-Landeschefin Lena Schwelling an.
Glücklich sind offenbar auch nicht alle Uni-Rektoren. „Weniger Bewerbungen bedeuten weniger Auswahlmöglichkeiten für die Hochschulen und damit durchaus einen Qualitätsverlust“, gab schon vor einem Monat der Chef der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg zu bedenken. Für Studierende aus Tansania oder Indien sei es „schon entscheidend, wofür das Geld, das bisschen Geld, was man zur Verfügung hat, aufgewendet wird“. Wenn anderorts, etwa in Bayern oder Rheinland-Pfalz, keine Gebühren erhoben würden, dann könne das die Entscheidung, wo man studiert, durchaus mit beeinflussen.
„Der falsche Weg“
Auch die 58 Studentenwerke in Deutschland haben Baden-Württemberg und NRW zum Verzicht auf Gebühren für internationale Studierende aufgefordert. Bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks (DSW) betonte am Mittwoch Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde: „Studiengebühren sind der falsche Weg zu einer auskömmlichen Hochschulfinanzierung. Das ist die Verantwortung des Staates, nicht der Studierenden – ob sie nun aus Deutschland kommen, einem EU-Land oder von außerhalb der EU.“ (rw)