Entscheidung zur Strafbarkeit des BAFÖG-Betrugs

StGB § 263, BAföG § 58 Abs. 1 Nr. 1, OWiG § 21 Abs. 1 Satz 1

Wer Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz durch unrichtige Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen erlangt, macht sich wegen Betruges strafbar.
§ 263 StGB wird nicht durch § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG verdrängt.

BayObLG 1. Strafsenat, Beschluss vom 23.11.2004 - 1St RR 129/04 -

 

Sachverhalt: Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 06.04.2004 wegen Betrugs in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe 90 Tagessätzen zu jeweils 50 Euro. Auf die hiergegen allein von der Staatsanwaltschaft eingelegte und von ihr bereits mit der Rechtsmitteleinlegung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung hat das Landgericht, das die Rechtsmittelbeschränkung für wirksam erachtet hat, das Urteil des Amtsgerichts unter Verwerfung der weitergehenden Berufung der Staatsanwaltschaft dahingehend abgeändert, dass es den Angeklagten am 22.06.2004 zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu jeweils 46 Euro, gebildet aus Einzelgeldstrafen von 90 und 70 Tagessätzen, verurteilt hat.

Der Verurteilung liegen die folgenden Feststellungen zugrunde:

“1. Am 14.07.2001 beantragte der Angeklagte beim Landratsamt O, dort eingegangen am 17.07.2001, Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). In dem Antrag gab der Angeklagte bewusst der Wahrheit zuwider an, über keine Wertpapiere, Aktien, Pfandbriefe oder sonstige Vermögensgegenstände zu verfügen. Das Barvermögen, Bank- und Sparguthaben, Bauspar- und Prämienguthaben würden insgesamt 6.000,00 DM nicht überschreiten. So getäuscht und im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben des Angeklagten bewilligte das Landratsamt mit Bescheid vom 25.09.2001 BAföG in Höhe von 865,00 DM monatlich für die Monate September 2001 bis Februar 2002 und mit Bescheid vom 27.05.2002 BAföG in Höhe von 495,96 EUR von März 2002 bis Juli 2002.

    Neben dem bekannten Bausparguthaben bei der LBS und einem geringen Guthaben auf dem Girokonto, insgesamt Vermögen unter der Freibetragsgrenze, verfügte der Angeklagte weiterhin über ein erhebliches Vermögen in Form von Fondsanteilen im Wert von ca. 9.300 EUR am 17.07.2001 sowie über ein Wertpapierdepot im Wert von ca. 7.400,00 EUR am 17.07.2001.

    Dieses Vermögen erklärte der Angeklagte in seinem Antrag wahrheitswidrig nicht, um in den Genuss von BAföG zu gelangen, auf welches der Angeklagte – wie er wusste – keinen Anspruch hatte. Dem Landratsamt (...) entstand hierdurch ein entsprechender Schaden in Höhe von ca. 6.100,00 EUR.

     

2. Mit Antrag vom 17.05.2002 beantragte der Angeklagte beim Landratsamt O, eingegangen am 22.05.2002, Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für den Zeitraum ab August 2002. Erneut erklärte der Angeklagte der Wahrheit zuwider, über kein anrechenbares Vermögen zu verfügen. So getäuscht und im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben des Angeklagten gewährte das Landratsamt mit Bescheid vom 26.07.2002 Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in Höhe von 498,00 EUR monatlich im Zeitraum von August 2002 bis Juli 2003. Die Wertpapiere des Angeklagten hatten am 22.05.2002 einen Wert von ca. 8.600,00 EUR, die Fondsanteile einen Wert von ca. 16.600 EUR erreicht. Auch hier verschwieg der Angeklagte sein Vermögen, um in den Genuss des BAföG zu gelangen, auf welches der Angeklagte – wie er wusste – keinen Anspruch hatte. Dem Landratsamt entstand hierdurch ein Schaden in Höhe von ca. 5.000,00 EUR.”

Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts mit der Begründung, eine Verurteilung wegen Betrugs habe nicht ergehen dürfen, weil die Strafbewehrung nach § 263 Abs. 1 StGB durch die Ordnungswidrigkeitennorm des § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG in ihrer Vorsatzalternative ausnahmsweise verdrängt werde. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

    Aus den Gründen: Hat das Berufungsgericht - wie hier - aufgrund einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung (§ 318 StPO) entschieden und wird diese Entscheidung mit der Revision angegriffen, hat das Revisionsgericht unabhängig von einer entsprechenden Verfahrensrüge und ohne Rücksicht auf eine Beschwer des Revisionsführers von Amts wegen zu prüfen, ob das Berufungsgericht die Beschränkung zu Recht für wirksam erachtet hat (BGHSt 27, 70/72; KK/Ruß StPO 5. Aufl. § 318 Rn. 11 m.w.N.).

    Zwar ist die Beschränkung einer Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch (ausnahmsweise und nur insoweit) als unwirksam anzusehen, wenn nach den Feststellungen zum nicht angefochtenen Schuldspruch eine Straftat überhaupt nicht vorliegt, die fraglichen Taten vielmehr nur als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden können (vgl. BayObLG NJW 1954, 611; OLG Stuttgart NStZ-RR 2002, 47; KK/Ruß StPO 5. Aufl. § 318 Rn. 7 a; Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 318 Rn. 17 jeweils m.w.N.).

    Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor:

    So erscheint es bereits aufgrund des Wortlautes von § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG fraglich, ob der Angeklagte, der nach den Feststellungen ohne ein ausdrückliches Verlangen der Sozialbehörde, sich zu bestimmten Tatsachen zu äußern, seine Anträge gestellt hat, hierdurch auch den Bußgeldtatbestand erfüllt hat. Denn ordnungswidrig handelt hiernach, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 60 Abs. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch, jeweils auch in Verbindung mit § 47 Abs. 4, die dort bezeichneten Tatsachen auf Verlangen nicht angibt oder eine Änderung in den Verhältnissen nicht unverzüglich mitteilt oder auf Verlangen Beweisunterlagen nicht vorlegt. Eine strenge in Schrifttum und Rechtsprechung vertretene Meinung verneint daher die Tatbestandsmäßigkeit, wenn ein Antragsteller ohne ein ausdrückliches Verlangen der Sozialbehörde unrichtige Angaben im Förderantrag gemacht hat (Ramsauer/Stallbaum BAföG 3. Aufl. § 58 Rn. 3; Böse StraFo 2004, Seiten 122/124; BayObLG FamRZ 1985, 1197; a.A.
    Rothe/Blanke BAföG 5. Aufl. § 58 22. Lfg. Rn. 6.1; Bohnert NJW 2003, Seite 3611; zweifelnd König JA 2004, Seite 497/498; zur beabsichtigten präzisierenden Neufassung durch 21. BAföGÄndG vgl. BT-Drucks 15/3655 v. 24.8.2004 Art. 1 Nr. 17). Welcher Meinung zu folgen ist, kann letztlich dahinstehen. Denn selbst, wenn man davon ausgeht, dass das Verhalten des Angeklagten nicht nur den Tatbestand des Betruges nach § 263 Abs. 1 StGB, sondern auch den Bußgeldtatbestand nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG erfüllt hat, ist nur das Strafgesetz anwendbar. Denn dieses verdrängt nach § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG die Ordnungswidrigkeitennorm.

    Gegen dieses Ergebnis wird eingewendet, bei § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG handele es sich um eine Spezialnorm, die ausnahmsweise gegenüber dem Straftatbestand des Betrugs Vorrang genieße (Bohnert aaO, Seite 3612). Kennzeichen für die Spezialität eines Bußgeldtatbestandes gegenüber einem Straftatbestand ist, dass bei wesentlicher Identität der beiden Normen in ihrem Grundtatbestand die Bußgeldnorm sich durch ein zusätzliches Merkmal unterscheidet, welches das tatbestandlich vertypte Unrecht gegenüber der Strafnorm in einem milderen Licht erscheinen lässt (BayObLG NStZ 1990, 440/441; KK/Bohnert OWiG 2. Aufl. § 21 Rn. 7; Göhler OWiG 13. Aufl. § 21 Rn. 7). Ein solcher Fall liegt aber hier gerade nicht vor. Denn in § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG sind lediglich schlichte Tätigkeiten (wahrheitswidrige Antragstellung) bzw. Unterlassungen (Nichtmitteilung von Änderungen) mit Geldbuße bewehrt. Es soll damit bereits falschen Angaben vorgebeugt werden. Die Vorschrift ist damit als Tätigkeits- und Gefährdungsdelikt ausgeformt (König aaO, Seite 499). Demgegenüber ist der Betrug ein Erfolgsdelikt. Über die Verwirklichung eines Vermögensschadens hinaus werden beim Betrug mit vorsätzlicher Irrtumserregung, Bereicherungsabsicht und Vermögensverfügung weitere Tatbestandselemente verlangt, die in der Bußgeldbestimmung gerade keine Entsprechung haben. Hinzu kommt, dass der Unrechtsgehalt des Sozialleistungsbetruges durch eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit bei weitem nicht ausgeschöpft würde (König aaO Seite 499; Böse aaO, Seite 124 Fn. 27).

    Gegen einen Vorrang des Bußgeldtatbestandes spricht weiter, dass nach allgemeinen Konkurrenzregeln das Gefährdungsdelikt regelmäßig hinter das gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete Erfolgsdelikt zurücktritt (Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. vor § 52 Rn. 19). Erst recht gilt dies bei einer Konkurrenz einer Ordnungswidrigkeit als Gefährdungsdelikt und einer Straftat als Erfolgsdelikt (KK/Bohnert aaO, § 21 Rn. 7). Eine Ausnahme von § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG liegt somit nicht vor.

    Gegen eine Verdrängung der Strafnorm durch die Bußgeldnorm spricht auch noch folgender Gesichtspunkt: Im Hinblick darauf, dass die Bußgeldbewehrung in § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG die Durchsetzung der Mitwirkungspflichten der am Verfahren Beteiligten - des Antragstellers, der in § 47 BAföG genannten Angehörigen und Ausbildungsstätten - sicherstellen soll, liegt es nahe, dass das eigentliches Schutzgut der ordnungsgemäße Vollzug der Ausbildungsförderung ist (Rothe/Blanke aaO Rn. 4; Böse aaO, Seite 124). Ziel ist es dabei, dass die Sozialleistungen nur all denen gleichmäßig zugute kommen, die im Sinne des Gesetzes bedürftig sind (König aaO, Seite 498). Der Schutz des Vermögens des Leistungsträgers durch die Bußgeldnorm, der durch die Statuierung eines Verwaltungsunrechts gegenüber der Strafnorm ohnehin wesentlich schwächer ausgeformt ist, hat demgegenüber nur ungeordnete Bedeutung. Er folgt gewissermaßen als Reflex aus der Einhaltung der die Mitwirkungspflichten regelnden Verfahrensvorschriften. Wenn aber Straf- und Bußgeldtatbestände wie hier unterschiedliche Verhaltensweisen erfassen und in ihrem Kernbereich unterschiedliche Rechtsgüter schützen, kommt ein Vorrang der Bußgeldnorm gegenüber der Strafnorm ohnehin nicht in Betracht (vgl. Göhler aaO, § 21 Rn. 7).

    Das Landgericht hat daher zu Recht die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch als wirksam bewertet. Ein Zugriff auf den sonach rechtskräftigen Schuldspruch ist dem Revisionsgericht deshalb versagt (BayObLGSt 1998, 91/92).

    Auch die Strafzumessung weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.